Kundalini, die Schlangenkraft



Im Sanskrit wurden viele bildreiche symbolische Begriffe benutzt. Mit dem Wort Kundalini (oder Schlangenkraft) nähern wir uns dem spirituellen Teil des Yoga.
 Das Wissen um die Erweckung der Schlangenkraft, die dazu gehörenden Yoga-Asanas und Pranayamatechniken wurden als für Ungeübte sehr gefährlich angesehen. Daher waren die Voraussetzungen, dass Yogis überhaupt Kundalinitechniken kennenlernen durften, mit langen Jahren der inneren Reinigung verbunden. Zu der intensiven Vorbereitung gehörten auch die fundierte Kenntnis der Arbeit mit den Chakren, Überwindung der Süchte nach Fleisch, Sex und Alkohol und auch die Abkehr von den seelischen Giften wie Habgier, Neid und Selbstsucht.

In seinen Acht Schritten vom Yama bis zu Samadhi hat Patanjali in seinem Yoga-Sutra die Regeln festgeschrieben, die die Voraussetzungen für den spirituellen Weg des Yogas bilden.

Zurück zur Schlange.

Im alten Indien stellte man sich vor, dass am unteren Ende der Wirbelsäule am Beckenboden in der Nähe des Wurzelchakras eine zusammengerollte Schlange schläft. Wird sie geweckt, steigt sie entlang der Wirbelsäule im Nadi Sushumna aufwärts.

Drei Nadis (Flüsse/Kanäle) verbinden die Chakren an der Wirbelsäule miteinander und beginnen im Wurzelchakra. Ida (weiblich,Tha, Yin) und Pingala (männlich, Ha, Yang) kreuzen sich in jedem Chakra und enden oberhalb des Kehlchakras  im linken (Ida) bzw. rechten Nasenloch. Sie umkreisen den Energiekanal (Nadi) Sushumna, der innerhalb der Wirblsäule verläuft und in Spiralform bis zum Kronenchakra reicht. Und während Ida und Pingala den ganzen Organismus mit Lebensenergie versorgen, die zum weltlichen Leben und der materiellen Ebene benötigt wird, ist Sushumna für die spirituelle Energie von besonderer Bedeutung.
Das Ent-wickeln der Schlange soll verbunden sein mit der Entwicklung des Menschen, der sich Schritt für Schritt aus der materiellen in die geistige Welt bewegt.
Die Schlange als Symbol für die (zunächst noch inaktive) schöpferische Energie (Shakti) kann sich im Sushumna-Nadi nach oben bewegen, sobald die göttliche Energie (Shiva) durch das Kronenchakra den ganzen Weg durch alle vorbereiteten, gereinigten und weit offenen Chakren fließen konnte und so die Schlange für ihren Aufstieg erweckt.

Diesen Prozess können bestimmte Yoga-Asanas, Pranayama -  Atemübungen und bestimmte Meditationsformen und eine im Sinne der Yogaphilosophie positive Überwindung negativer, grobstofflicher Energien unterstützen.

Dafür ist das Aufsteigen der Kundalini (das mit der Spirituellen Entwicklung gleich zu setzen ist) von angenehmen Gefühlen, Glück und Zufriedenheit, Erkenntnissen, guter Gesundheit, Anregung schöpferischer Kräfte - bis hin zu Samadhi, der höchsten Erkenntnis, dem Verschmelzen mit dem Göttlichen, der Erleuchtung - dem Ziel der Yogis - verbunden.

Ganz besonders zu betonen ist, dass dieser Aufstieg langsam und sanft zu geschehen hat. Ist der Sushumni-Kanal noch nicht durch die intensive Arbeit an sich selbst gereinigt oder wird der Weg zur Erweckung der Schlange durch unrechte Handlungen (zum Beispiel übertriebene Askese, oder bestimmte exzessive Atemtechniken ohne die dazu gehörende Ruhe und Reinigung) abgekürzt, so kann es durch Blockaden der Chakren zu unangenehmen und schädlichen Nebenwirkungen kommen, Fieber, Erschöpfungszuständen bis hin zu geistiger Verwirrtheit.



Shiva und Shakti-Energien im Kundalini

Kundalini ist die Vereinigung der männlichen und weiblichen Urenegie - so wie es auch im Wort Ha -Tha benannt wird.

Menschen können nur in die Ein-heit des Göttlichen eintreten, indem sie die Polarität überwinden: ihre eigenen männlichen und weiblichen Aspekte ausleben und in sich selbst vereinigen.

Shakti, die weibliche Kraft, ist in der spirituellen Kundaini-Lehre die aktive Energie des Schöpferischen, während Shiva als reines Bewußtsein den ruhenden Aspekt des Kundalini darstellt, den männlichen Pol, den Herrscher der Welt. Er repräsentiert das kosmische Sein mit Sitz im Kronenchara. Shakti, als das Prinzip der Lebenskraft, als weibliches Urprinzip des Liebevollen (z.B. als Shivas Gattin Parvati) oder als Kali, (der furchterregenden Zerstörerin aber auch der Mutter aller Dinge mit unendlicher Schöpferkraft), hat ihren Sitz im Wurzelchakra.

So wird die in diesem Chakra ruhenden Schlange "Kundalini-Shakti" genannt, wenn sie hier von ihrem Schöpfungsprozess erschöpft ruht. Gelingt es uns, uns aus dem Materiellen zu lösen, und die Schlange wieder zu erwecken, so kann es durch eine (erneute) Verbindung von Shakti mit der göttlichen Quelle Shiva erneut zu neuen Schöpfungsakten der Einheit kommen.